Vergleich der Kesselwagen von Lenz und Kiss

Die neuen zweiachsigen Kesselwagen von Lenz haben erstaunliche Ähnlichkeit mit den Modellen von Kiss. Einige Spur Nuller stellen die Frage, ob es sich beim Lenz´schen Kesselwagen um eine Neuentwicklung handelt oder ob wohl der Kesselwagen von Kiss nachgebaut worden sei? Aus diesem Grund habe ich die beiden Modelle mal miteinander verglichen.

Der Kiss-Kesselwagen wurde vor einigen Jahren von Spur Nullern aus Kiel und Umgebung entwickelt und vertrieben. Im Jahr 2003 hat Kiss diesen Wagen dann aufgelegt, erhältlich einzeln zum Preis von 219,- € und im Dreierset zum Preis von 589,- €. Diese Wagen sind schon seit einer Weile ausverkauft. Der Lenz-Kesselwagen ist seit kurzem zum Preis von 98,50 € erhältlich – sofern die jeweilige Nummernreihe nicht ausverkauft ist. Die ersten Serien des EVA- und des VTG-Kesselwagens waren sofort bei Erscheinen vergriffen, eine zweite Serie mit neuer Betriebsnummer ist in Produktion. Zum Vergleich haben ein Lenz-EVA-Kesselwagen in Epoche III und ein Kiss-Dienstkesselwagen in Epoche IV vorgelegen.

Der Lenz- und der Kiss-Kesselwagen im Vergleich

Der Lenz- und der Kiss-Kesselwagen im Vergleich

Den ersten Eindruck von beiden Modellen erhält man beim Auspacken. Dabei fiel auf, dass der Lenz-Wagen deutlich schwerer ist als der von Kiss. Die Waage brachte es an den Tag: Lenz 248 g, Kiss 150 g. Beide sind mit diesem Gewicht nicht normgerecht, nach NEM 302 sollten beide Wagen etwa 197 g wiegen. Rein subjektiv liegt der Lenz-Wagen aufgrund seines Gewichts besser im Gleis, er passt auch damit besser zu den anderen Lenz-Wagen. Der Kiss-Wagen wirkt zu leicht. Weiter hat der Lenz-Wagen selbstverständlich die Lenz-Kupplung, es liegen Originalkupplungen zum Umrüsten bei. Der Kiss-Wagen ist mit Originalkupplungen ausgestattet.

Beide Modelle sind gleich lang (197 mm) und es fällt schon auf, dass sie sich sehr ähnlich sehen. Erst beim zweiten Blick erkennt man, dass die Geländer auf dem Kessel unterschiedlich hoch sind und auch die Ausführung der Kessel verschieden ist: Der Lenz-Kessel ist glatt, am Kiss-Kessel sind hingegen umlaufende Ringe zu erkennen.

Oben Lenz, unten Kiss

Oben Lenz, unten Kiss

Die Breite der Wagen ist unterschiedlich. Zwar haben die beiden Kessel den gleichen Durchmesser, aber die Trittstufen zur Bremserbühne stehen unterschiedlich weit ab und haben auch verschiedene Höhen.

Links Lenz, rechts Kiss

Links Lenz, rechts Kiss

Während die Breite des Lenz-Wagens über die Trittbretter gemessen 64 mm beträgt, tritt der Kiss-Wagen hier mit 72,5 mm deutlich breiter auf. Die untere Trittstufe ist auch bei beiden Wagen unterschiedlich hoch montiert: Bei Lenz muss der Rangierer 13 mm von der Schienenoberkante überwinden, während es bei Kiss nur 9,8 mm  sind. Beide Wagen bleiben aber mit den Trittstufen innerhalb der zulässigen Umgrenzung nach NEM 301.

Da wir gerade bei den Trittstufen sind: Auch die Bremserbühnen sind unterschiedlich ausgeführt. Während bei Lenz zwei Bretter mit vertiefter Holzmaserung als Fußboden zu erkennen sind, ist der Boden bei Kiss aus einem Stück. Dort ist die Maserung nicht vertieft, sondern steht nach oben aus dem Boden heraus. Die Tritte sind bei Lenz als Holzbretter nachgebildet, bei Kiss sind Metalltritte dargestellt. Der Unterschied ist epochengerecht, da in der Epoche IV die Holztritte aller Güterwagen durch Metalltritte ersetzt wurden. Das Geländer der Bremserbühne besteht bei Lenz aus relativ flexiblem Kunststoff mit 0,9 mm Durchmesser. Bei Kiss besteht es aus Messing (1,0 mm Durchmesser) und ist recht starr. Beide Bremserbühnen sind gut nachgebildet; es fällt nichts negativ auf.

Links Lenz, rechts Kiss

Links Lenz, rechts Kiss

Von der Bremserbühne gelangt der 1:45-Rangierer mittels einer fünfsprossigen Leiter (Lenz Kunststoff, Kiss Messing) auf den Umlauf auf dem Kessel. Dieser Umlauf ist bei Lenz, wie auch die Bremserbühne, als Steg mit zwei Holzbrettern dargestellt, während der Kiss-Wagen dort ein feines, durchbrochenes und geätztes Messingblech aufweist. Beide Ausführungen sind epochegerecht, es gilt hier das Gleiche wie bei den Trittstufen.

Oben Lenz, unten Kiss

Oben Lenz, unten Kiss

Der Mini-Bediener gelangt über den Umlauf zu den Domen auf dem Scheitel des Kessels. Hier ist erkennbar, dass die Lenz´sche Ausführung feiner ist, was dem letztkonstruierten Modell gerecht wird.

Der selbsttragende Kessel ruht auf einem halben Rahmen, welcher bei beiden Modellen unterschiedlich ausgeführt ist. Lenz hat vier dreieckige Ausschnitte im schräg stehenden Deckblech, während Kiss dort in der Mitte einen weiteren trapezförmigen Ausschnitt hat. Durch das Fehlen des Ausschnitts beim Lenz-Wagen wird der Blick auf die darunter befindliche Kurzkupplungskulisse verwehrt, was der Gesamtwirkung des Modells aber gut tut.

Links Lenz, rechts Kiss

Links Lenz, rechts Kiss

Weitere Detailunterschiede sind am Rahmen und dem Laufwerk erkennbar:  Bei Kiss sind die Federböcke durchbrochen, bei Lenz nicht. Die Gleitachslager von Lenz sind feiner als die von Kiss.

Links Lenz, rechts Kiss

Links Lenz, rechts Kiss

Ein weiterer deutlich sichtbarer Unterschied sind die Anschriften. Sie sind nicht nur epochengerecht unterschiedlich: Bei Lenz sind Wagennummer und ein paar weitere Daten am Kessel angeschrieben, weitere Details wie Zettelkasten und zusätzliche Anschriften sind an einem separaten Anschriftenblech, welches am Kessel angebracht ist, zu finden.

Das Anschriftenblech ist bei Kiss deutlich größer und enthält alle Anschriften der linken Seite. Auch dieser Unterschied ist epochengerecht, denn erst im Übergang zwischen Epoche III und IV wurden die Anschriftenbleche vergrößert und die Anschriften vom Kessel entfernt – dadurch blieben diese auch bei Verschmutzung des Kessels lesbar.

Links Lenz, rechts Kiss

Links Lenz, rechts Kiss

Beide Modelle sind vorbildgerecht und komplett beschriftet. Es wurden die richtigen Schriftarten gewählt, beim Kiss-Modell allerdings in einer Form, welche erst gegen Ende der 80er Jahre zur Anwendung kam. Beide Modelle weisen Zettelkästen aus, in denen keine Bezettelung erkennbar ist. Da Kesselwagen bei der DB auch leer immer mit einem großen Hauptzettel bezettelt befördert wurden, muss hier nachgearbeitet werden. Allerdings ist der Kiss´sche Zettelkasten komplett Weiß lackiert, was jedem Vorbild entbehrt.

Bei der Bremsanlage ist Kiss ein kleiner Fehler passiert: Der Lastwechsel steht auf der einen Seite des Wagens auf „leer“ und auf der anderen Seite auf „beladen“ – aber das werden die wenigsten Modellbahner bemerken.

Bleibt noch der typische Modellbahnerblick unter den Wagen:

Oben Lenz, unten Kiss

Oben Lenz, unten Kiss

Beide Modelle sind unten fein detailliert, wobei die Bremsanlage des Lenz-Wagens etwas feiner ausgeprägt ist, besonders die Rückzugsfeder des Bremszylinders sticht positiv hervor!

Mein Fazit: Beide Modelle sind sehr gut gestaltet und geben das Vorbild hervorragend wieder. Wer kein Freund der Lenz-Kupplung ist, kann den Lenz-Kesselwagen einfach auf Originalkupplung umrüsten. Besitzer der Kiss-Wagen können sich freuen, denn die Wagen sind nicht mehr lieferbar und somit etwas rar auf dem Markt. Der Lenz-Wagen ist aufgrund der sehr guten Ausführung und des – verglichen mit dem Kiss-Wagen – niedrigen Preises beinahe ein Schnäppchen!

6 Reaktionen zu “Vergleich der Kesselwagen von Lenz und Kiss”

  1. Martin Zeilinger

    Vielen Dank für diesen sehr interessanten und umfassenden Vergleich!
    Mich hätte nur noch interessiert, ob der “Lenz-Wagen” auch über gefederte Achsen oder eine Dreipunkt-Lagerung verfügt und ob das “schrägstehende Deckblech” beim Lenz-Kesselwagen vorbildentsprechend ist.


    Hallo Martin,
    der “Lenz-Wagen” verfügt Lenz-typisch weder über eine Federung noch über eine Dreipunktlagerung. Das schrägstehende Deckblech ist vorbildgerecht, nur ist die Anzahl der Ausschnitte beim Kiss-Wagen vorbildgerechter. Aber: Wäre der Ausschnitt bei Lenz drin, wäre die Kinematik einsehbar. Insofern ist das Fehlen des trapezförmigen Ausschnitts ein guter Kompromiss. Beim Kiss-Wagen hingegen sieht mal deutlich die Feder und den Splint der Kupplung – der Anblick sagt mir nicht wirklich zu.

    Gruß,
    Stefan

  2. Joachim Wassenberg

    Hallo Stefan!
    Wie die gegenübergestellten Bilder zeigen, gibt es deutliche Bauunterschiede bei den Wagen von KISS bzw. LENZ.
    Haben beide Modelle das gleiche Vorbild?
    Welches Modell entspricht dem Vorbild?
    Oder gab es beim Vorbild womöglich mehrere Bauserien mit Modifikationen?
    Vorbildfotos wären hilfreich!
    Gruss! Joachim

  3. Stefan Panske

    Hallo Joachim,

    beide Hersteller haben sich das gleiche Vorbild genommen: Den Einheitskesselwagen der Bauart “Deutz”. Dieser Kesselwagen hat als einzige Bauform eines zweiachsigen Kesselwagens einen freitragenden Kessel – es gibt also keinen durchgehenden Langträger unter dem Kessel! Leider wurde die Bauart Deutz nicht sehr oft gebaut, es gab deutlich mehr Exemplare der Konkurrenz-Bauart “Uerdingen”.

    Viele Details zur Bauart “Deutz” gibt es nicht im Internet – die beiden Links vom anderen Stefan zeigen keinen einzigen! Ein paar Infos zur Bauart “Deutz” findest Du aber hier:

    http://www.drahtkupplung.de/gtbhb245C.html

    Deine Frage, welches Modell vorbildgerechter ist, ist meines Erachtens nicht eindeutig zu beantworten. Die sichtbaren Unterschiede wie Bühnengeländer, Steg mitsamt Geländer (Höhe) oder Anschriftentafeln lassen sich sicher über die Epochen-Unterschiede begründen. Einzig für die umlaufenden Schweißnähte des Kiss-Wagens habe ich keinen Beweis beim Vorbild finden können. Vielleicht reicht Dir diese Info?

    Gruß,
    Stefan (Panske)

    P.S.: Im Artikel selber steht nichts über das Vorbild, da ich die beiden Modelle miteinander verglichen habe.

  4. Bernd Lachmund

    Hallo Stefan,
    vielen Dank für den sehr ausführlichen Vergleich der Wagen.
    Es wäre allerdings schon schön gewesen, wenn der Vergleich auch das Kriterium ” Übereinstimmung mit dem Vorbild” enthalten hätte, besonders bezogen auf den ” nagelneuen” Lenz Wagen.
    Gruß
    Bernd

  5. Stefan Panske

    Hallo Bernd,

    zum Zeitpunkt der Berichterstellung hatte ich noch keine belastbare Vorbildinfos außer meinen Erinnerungen. Mittlerweile habe ich im www zwei Bilder aus der Epoche IV gefunden, die das Aussehen des Lenz-Kesselwagens, insbesondere in Hinblick auf das Geländer auf dem Kessel, als vorbildgerechter erscheinen lassen…

    Aber beachte bei diesem Thema auch, dass die in Betrieb befindlichen Kesselwagen damals bei verschiedenen privaten Kesselwagenverleihfirmen eingestellt waren und diese ihre Wagen individuell angepasst haben. Die Unterschiede im Modell sind von der Optik her nicht so gravierend, so dass beiden Wagen eine gute Vorbildtreue bescheinigt werden kann.

    Gruß,
    Stefan